156 —
fahrt von Deutschland nach New York, die bis dahin über
12 Tage in Anspruch nahm, wurde nunmehr in 8 bis 9 Tagen
ausgeführt. Das Jahr 1885 brachte einen für die Weiter-
entwicklung des Norddeutschen Lloyd höchst wichtigen Vertrag
mit dem Deutschen Reiche, auf Grund dessen von der Ge-
sellschaft Postdampferlinien nach Ostasien und Australien ein-
gerichtet und unterhalten wurden. Von Bedeutung für die
Förderung des deutschen Schiffsbaues war diejenige Be-
stimmung des Vertrages, welche forderte, daß die neuen
Dampfer auf deutschen Werften gebaut sein mußten. Im
Sommer 1886 kamen die Reichspostdampferlinien mit drei
großen, von dem Stettiner »Vulkan« gelieferten Dampfern
(»Preußen«, »Bayern« und »Sachsen«) zur Eröffnung. Die
Hauptlinie nach China erhielt Anschlußlinien nach Japan und
Korea, die australische Hauptlinie wurde mit Anschlußlinien
nach den Samoa- und Tonjainseln versehen. Gleichzeitig kam
auch die Zweiglinie Triest—brindisi—alexandrien in Betrieb.
Zehn Jahre später richtete auch die Hamburg-Amerika-Linie,
für die mit der Einstellung von Doppelschraubendampfern im
Jahre 1889 die Zeit des grösten und schnellsten Aufschwungs
begann, eine Linie nach Ostasien ein. Für ihre gewaltigen,
herrlich ausgestatteten Postdampfer, mittels deren die Ge-
sellschaft den Personen- und Warenverkehr in regelmäßigen
Fahrten mit den fremden Weltteilen unterhielt, und die von
den Passagieren ihrer außerordentlichen Bequemlichkeit wegen
gern benutzt wurden, erhielt sie eine Subvention des Deutschen
Reiches. Anfang der 90er Jahre folgte der Norddeutsche
Lloyd mit der Einstellung von Doppelschraubendampfern nach
und richtete außerdem 2 neue Linien Genua—new York und
Bremen—new York ein. Letztere, hauptsächlich für den
Frachtverkehr bestimmt, erhielt den Namen Rolandshnie. Als
jüngstes Ereignis in der Geschichte der beiden Reederei-
gesellschaften mag die Einstellung von modernen Riesenschnell-
dampfern in den transozeanischen Verkehr erwähnt werden.
Der Norddeutsche Lloyd machte darin mit dem Dampfer
»Kaiser Wilhelm der Große«, der im Mai 1897 vom Stapel
lief, den Anfang. Als dritten und größten stellte er im vorigen
Jahre »Kaiser Wilhelm Ii.« in die Fahrt.
Der größte Riesenschnelldampfer der Hamburg-Amerika-
Linie ist die am 10. Januar 1900 in Betrieb gestellte »Deutsch-
land«.
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Extrahierte Personennamen: Lloyd Lloyd Wilhelm Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Ostasien Australien China Japan Korea Ostasien Norddeutsche
Lloyd Bremen—new_York
— 157
3. Die Weltpost.
a. Wie hat sich die Weltpost entwickelt?
Das 19. Jahrhundert, das Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität,
hat auf dem Gebiete des nationalen und internationalen Völker- imd Güter-
verkehrs gewaltige Umwälzungen geschaffen. Mit der Gründung des
Weltpostvereins im Jahre 1874 tat die Post jenen kühnen Schritt, der eine
vollständige Neugestaltung dieses Verkehrsmittels im Gefolge hatte. Wie
notwendig gerade auf diesem Gebiete das Eingreifen einer schöpferischen
Hand war, davon überzeugt uns ein Blick in die postalischen Verhältnisse
Deutschlands um die Mitte des 19. Jahrhunderts, noch mehr aber die Be-
trachtung des internationalen Postverkehrs aus jener Zeit.
Deutschland war damals geradezu der Schauplatz postalischer Ver-
wirrung. Kein Wimder, da jeder deutsche Kleinstaat seine eigene Post
hatte. Mehrere Staaten bemühten sich sogar, in den Zentren des inter-
nationalen Verkehrs, wie in Hamburg, Lübeck und Bremen, den Post-
verkehr an sich zu ziehen, ohne Rücksicht auf die Bequemlichkeit für das
Publikum. Hamburg bot in dieser Hinsicht ein geradezu kurioses Bild.
Wer dort seine Postsachen schnell und sicher befördert haben wollte, mußte
»Briefe für Sachsen und einige mitteldeutsche Herzogtümer zur preußischen
Post, Briefe für Braunschweig zur hannoverschen Post, solche ñü Olden-
burg, Bremen und Lübeck zur Hamburger Stadtpost, Briefe nach dem
nahen Lauenburg zur dänischen, Briefe nach der einen Hälfte Österreichs
zur preußischen, nach der andern Hälfte zur Turn- und Taxischen Post
%eben.« *)
Dieses Beispiel mag genügen, um ein Bild von der Verworrenheit
der deutsch-inländischen Postverhältnisse zu geben. Nicht minder schwierig
waren die postahschen Beziehungen zum Auslande. Von Einheitlichkeit
in den Porto- und Gewichtssätzen, von Schnelligkeit und Sicherheit in der
Beförderung der Briefe konnte kaum die Bede sein. Besonders hemmend
für den Auslandsverkehr erwiesen sich die hohen Portosätze, zahlte man
doch für einen Brief aus Deutschland nach Eom 48 oder 68 oder 85 oder
sogar 90 Pfennig, je nachdem er seinen Weg durch Österreich, durch die
Schweiz, über Frankreich oder zu Wasser über Genua nahm. Im Jahre 1860
zahlte man für einen Brief von Berlin nach Edinburg 1 Mark, während er
heute nach der Weltposttaxe nur 20 Pfennig kostet.
Als der eigentliche Begründer der Weltpost verdient der
Generalpostmeister des Deutschen Reiches v. Stephan genannt
zu werden, der die Bedürfnisse des internationalen Verkehrs-
lebens klar erkannte und eifrig bestrebt war, die Kulturstaaten
der Erde zu einer großen Postverkehrsgemeinschaft zusammen-
zufügen. Dieses Verkehrsideal des hochverdienten Staatssekre-
tärs wurde auf dem ersten internationalen Postkongreß zu
Bern im Jahre 1874 durch Abschluß des Weltpostvertrages
und Gründung des Weltpostvereins in die Wirklichkeit um-
gesetzt.
*) Jung, Weltpostverein.
i
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Extrahierte Personennamen: Stephan
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschland Hamburg Bremen Hamburg Sachsen Bremen Lauenburg Deutschland Frankreich Genua Berlin Edinburg
— 44 —
824 Mill. M. Hauptgegenstände derselben waren Steinkohle, Wollen-
und Baumwollengarne, Rohwolle, Gold, Heringe, Silber, Kautschuk,
Felle, Eisen und Eisenwaren. — Deutschland führte Waren im
Werte von 1067 Mill. M nach Großbritannien ein und zwar haupt-
sächlich Zucker, Eisenwaren, Kleider, Seiden- und Wollwaren,
Bilder, Strumpfwaren, Spielzeug, Anilin- und andere Farbwaren,
Papier, Holz, Baumwollwaren, Maschinen, Lederwaren, Klaviere,
Porzellanwaren, Kalisalze usw. Damit ist dieses Reich Deutschlands
bester Kunde, wie wir anderseits ebenfalls zu seinen größten Ab-
nehmern zählen. (Warum ist dieser Umstand eine Friedensbürgschaft ?)
C. Das britische Kolonialreich.
Allgemeines.
Die Briten haben sich als ein hervorragend seefahrendes Volk
beizeiten in allen Erdteilen die von der Natur am reichsten aus-
gestatteten Gebiete gesichert (Kolonialkämpfe gegen Holland—kap-
land und Ostindien —, gegen Frankreich—canada) und die Wege zu
denselben durch zahlreiche Stützpunkte an den großen Verkehrs-
straßen in ihre Hand gebracht. So ist der britische Kolonialbesitz
allmählich zur dreifachen Größe Europas angewachsen und Heimat
für ein Viertel der ganzen Menschheit geworden. Er versorgt das
Mutterland mit den wichtigsten Rohstoffen für jeden Industriezweig,
gibt dem Kapital- und Menschenüberfluß desselben Gelegenheit zu
lohnender Tätigkeit und bildet für den britischen Handel ein be-
deutendes Absatzgebiet.
Der Verwaltung nach unterscheidet man die Kolonien in:
a) Kronkolonien (Regierung durch das Mutterland),
b) Kolonien mit repräsentativer Verwaltung (die Krone hat das
Einspruchsrecht gegen Gesetze und ernennt alle Beamten),
c) Kolonien mit eigener Regierung (die Krone ernennt nur den
Gouverneur).
Trotz dieser teilweise sehr engen Verbindung mit Großbritannien
gewinnen in neuester Zeit auch der deutsche und amerikanische Handel
in den Kolonien sehr an Boden. Daher sind im Mutterlande lebhafte
Stimmen für einen engeren handelspolitischen Zusammenschluß desselben
mit den Kolonien (Greater Britain) in Form einer Zollunion mit Vorzugs-
zöllen für Waren britischen Ursprungs sowie für einen Abschluß gegen-
über den anderen Staaten laut geworden. Die Kolonien verhalten sich
zu diesen Plänen allerdings fast durchweg ablehnend.
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschlands Ostindien Europas
368
Ich befand mich, so erzählt der spätere Konteradmiral Werner, als
Flaggleutnant auf der „Gefion". Bei unserer Kreuztour kamen wir auch
nach Rio de Janeiro und wurden, wie dies bei Besuch ausländischer Häfen
durch Kriegsschiffe allgemein Sitte ist, von den Spitzen der Behörden zu
Festlichkeiten eingeladen. Bei einem feierlichen Mittagessen hatte ich das
Vergnügen, einen hohen, reich mit Orden geschmückten Regierungsbeamten
als Tischnachbar zu bekommen, mit dem ich mich auf das angenehmste
unterhielt. Plötzlich wurde meinem patriotischen Stolze ein bedeutender
Dämpfer aufgesetzt, als jener im Laufe des Gespräches die Frage an mich
richtete: „Sagen Sie einmal, verehrter Herr, liegt Preußen eigentlich in
Hamburg?"
Zuerst schaute ich ihn ganz verblüfft an; da ich aber bemerkte, daß
er in vollem Ernste sprach und mir zugleich einfiel, daß man an
brasilianische Regierungsbeamte nicht den Maßstab allgemeiner Bildung
legen könne wie an deutsche, so erwiderte ich ebenso vertraulich: „Nun,
nicht gerade darin, aber ganz nahe bei."
Das Gespräch war damals für unsere deutschen Verhältnisse charakte-
ristisch; Hamburg kannte man in Brasilien sehr gut, seine Schiffe erschienen
häufig genug in den dortigen Häfen, und auch von Bremen wußte man
etwas, aber von Preußen und dem übrigen Deutschland selbst in den ge-
bildeten Kreisen wenig oder nichts; seine Handelsschiffe kamen damals
nicht über das Mittelmeer hinaus. Wie hat sich das in den 50 Jahren
geändert! Wo gibt es ein Land, und läge es im fernsten Winkel der
Erde, in dem jetzt nicht die deutsche Flagge gekannt, geachtet und gefürchtet
wäre? Dank unserer Flotte weiß man jetzt, daß Deutschland die Macht
besitzt und gewillt ist, seine Flagge und seine Untertanen zu schützen und
vor jeder Unbill zu bewahren.
Mit dem Jahre 1864 fiel mit Holstein der Hafen von Kiel, der
sicherste, geräumigste und tiefste der Ostsee, an Preußen, und nach und nach
wurde auch der Kriegshafen am Jadebusen, den Preußen schon seit 1854
besaß, ausgebaut. Als Preußen auf den böhmischen Schlachtfeldern die
Einigung Norddeutschlands errungen hatte, da brachte es dem Nord-
deutschen Bunde eine Marine als Morgengabe mit, die bereits der dänischen
überlegen war.
Aber der neue Bund überzeugte sich bald, daß diese Macht noch
lange nicht ausreichend war, um unsere Küsten gegen feindliche Landungen
und Blockaden sowie unsern Seehandel genügend zu schützen, und beschloß
daher, ungesäumt ihre Vergrößerung zu veranlassen.
Als 1870 der ftanzösische Krieg ausbrach, durfte zwar die deutsche
Marine den vierfach überlegenen Blockadeflotten Frankreichs nicht in offener
See begegnen, aber sie verhinderte doch jede feindliche Landung und Brand-
schatzung unserer Küstenstädte.
Nach dem Frieden waren Wilhelmshaven und Kiel zur Aufnahme und
Reparatur der großen Schiffe fertig geworden, und das Deutsche Reich,
das die Marine übernahm, sorgte dafür, daß mit der Vergrößerung der
Flotte energisch vorgegangen wurde.
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Extrahierte Personennamen: Werner
Extrahierte Ortsnamen: Hamburg Hamburg Brasilien Deutschland Deutschland Holstein Kiel Ostsee Norddeutschlands Frankreichs Wilhelmshaven
371
gesetzt waren, hatten sie ihre Faktoreien in das unabhängige Togoland
verlegt, wo ihre Waren steuerfrei aus- und eingingen. Natürlich wurden
die Engländer durch die Umgehung ihres Zollgebietes erheblich geschädigt,
und sie hetzten daher die Häuptlinge im Togolande gegen die Deutschen
auf. Gerade zur rechten Zeit erschien Dr. Nachtigal an Bord der „Möwe"
und schloß am 5. Juli 1884 mit dem Könige von Togo ein Schutz- und
Trutzbündnis ab. Zum erstenmal wurde auf afrikanischem Boden, an der
Sklavenküste, die deutsche Kriegsflagge feierlich aufgezogen.
Das nächste Ziel Nachtigals war Kamerun, wo Hamburger Kauf-
leute Niederlassungen angelegt und ihren Handel zum bedeutendsten des
ganzen Gebietes gestaltet hatten. Auch hier war es höchste Zeit, daß
die „Möwe" anlangte und daß mit den Negern bindende Verträge abge-
schlossen wurden. Denn jeden Augenblick erwartete man die Ankunft eines
britischen Beamten, der die Schutzherrschaft seines Landes verkünden sollte.
Tatsächlich traf ein solcher zwei Tage später als Nachtigal ein, freilich
nur, um zu erfahren, daß er zu spät gekommen sei. Später, 1885,
wurde die Süd- und Nordgrenze des neuen Schutzgebietes nach langen
Verhandlungen mit Frankreich und England bestimmt und gleichzeitig ein
zusammenhängender Küstenstreifen für Deutschland gewonnen. Weil die
in Kamerun ansässigen Kaufleute ebensowenig wie die in Togo die Aus-
übung der Oberhoheit und Verwaltung und die damit verbundenen Kosten
übernehmen wollten, so erhielten beide Kolonien einen Kaiserlichen Gou-
verneur und wurden Reichskolonien.
An der Ostküste Afrikas, vornehmlich im Gebiet des Sultans von
Sansibar, war der deutsche Handel seit den 40er Jahren ebenfalls der
herrschende geworden und übertraf 1874, als der damalige Sultan sein
Land vergeblich unter deutschen Schutz zu stellen suchte, den englischen
Handel um das dreifache. Um ihn noch mehr zu sichern, trat Dr. Karl
Peters, der Sohn eines Pfarrers aus Neuhaus in Hannover, im
April 1884 mit mehreren gleichgesinnten Männern in Berlin zu einer
Gesellschaft zusammen, die sich entschloß, als erste deutsche Gesellschaft
praktische Kolonialpolitik zu treiben, noch ehe die Besitznahme Angra
Pequenas erfolgt war. Sie bereitete in der Stille die Erwerbung Ost-
afrikas vor, und Dr. Peters, Referendar Jühlke, Graf Pfeil und Kauf-
mann Otto reisten unter falschen Namen nach Sansibar ab und drangen
aus diese Weise unbehelligt ins Hinterland ein. Dort schlossen sie in
überraschend kurzer Zeit mit den Beherrschern des Hinterlandes von
Sansibar Verträge ab und gewannen so ein ausgedehntes Gebiet. Peters
kehrte eilends nach Hause zurück und erhielt für seine Gesellschaft am
27. Februar 1885 einen kaiserlichen Schutzbrief, den ersten, den die deutsche
Geschichte kennt. Doch auch in Ostafrika machte sich der feindliche Einfluß
der Engländer geltend. Nachdem aber der Sultan durch den unerwarteten
Anblick eines aus acht Kriegsschiffen bestehenden Geschwaders vor Sansibar
die Macht des Deutschen Reichs fürchten gelernt hatte, erkannte er den
kaiserlichen Schutzbrief an, räumte obendrein der Deutsch-afrikanischen
Gesellschaft den sehr brauchbaren Hafen von Dar-es-Salaam ein und
24*
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Extrahierte Personennamen: Karl
Peters Karl Angra
Pequenas Peters Jühlke Otto Peters
Extrahierte Ortsnamen: Togo Kamerun Frankreich England Deutschland Kamerun Togo Afrikas Sansibar Neuhaus Hannover Berlin Sansibar Sansibar Ostafrika Sansibar Dar-es-Salaam
349
„Nun danket alle Gott“. Mit dem Segensspruch schloß der kirch-
liche Teil der Feier.
Jetzt wandte sich der König nach rechts, der einen Schmal-
seite des Saales zu, wo auf einer Erhöhung etwa sechzig Fahnen-
träger mit ihren Fahnen und Standarten standen. Nach einer
kurzen Ansprache forderte er den Kanzler auf, die von ihm
erlassene Proklamation zu verlesen. Graf Bismarck trat mit
der Urkunde in der Hand an die Stufen heran und las:
An das deutsche Volk!
Wir, Wilhelm,
von Gottes Gnaden König von Preußen,
nachdem die deutschen Fürsten und Freien Städte den einmütigen
Bus an uns gerichtet haben, mit der Herstellung des Deutschen
Reichs die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche
Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in
der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden Be-
stimmungen vorgesehen sind, bekunden hiermit, daß Wir es als
eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben,
diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und Freien
Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzu-
nehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an
der Krone Preußen fortan den kaiserlichen Titel in allen
Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reichs
führen und hoffen zu Gott, daß es der Deutschen Nation ge-
geben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlich-
keit das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen.
Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der
Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reichs und seiner
Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit
Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu
verteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem
deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen
und opfermütigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb
der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahr-
hunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frank-
reichs gewähren. Uns aber und Unsern Nachfolgern an der
Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen
Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an
den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.
Gegeben Hauptquartier Versailles, den 18. Januar 1871.
Wilhelm.
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Extrahierte Personennamen: Bismarck Wilhelm Gottes_Gnaden_König Wilhelm
354
Wenn Ich Gott um Kraft bitte, diese königlichen Pflichten
zu erfüllen, die sein Wille Mir auferlegt, so bin Ich dabei von
dem Vertrauen zum preußischen Volke getragen, welches der
Rückblick auf unsere Geschichte Mir gewährt. In guten und in
bösen Tagen hat Preußens Volk stets treu zu seinem Könige
gestanden; auf diese Treue, deren Band sich Meinen Vätern
gegenüber in jeder schweren Zeit und Gefahr als unzerreißbar
bewährt hat, zähle auch Ich in dem Bewußtsein, daß Ich sie
aus vollem Herzen erwidere als treuer Fürst eines treuen Volkes,
beide gleich stark in der Hingebung für das gemeinsame Vater-
land. Diesem Bewußtsein der Gegenseitigkeit der Liebe, welche
Mich mit Meinem Volke verbindet, entnehme Ich die Zuversicht,
daß Gott Mir Kraft und Weisheit verleihen werde, Meines
königlichen Amtes zum Heile des Vaterlandes zu walten.
Potsdam, den 18. Juni 1888. Wilhelm.
151. Eine Keichstagsverhandlung.
Sitzung Montag, den 6. Februar 1880.
Die Sitzung wird um * Uhr *5 Minuten durch den Präsidenten von wedell-
piesdorf eröffnet.
Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.
Das Protokoll der vorigen Sitzung liegt zur Einsicht auf dem Bureau offen.
Ich habe Urlaub erteilt dem Herrn Abgeordneten Dr. Kruse für sechs Tage.
Entschuldigt find die Mitglieder des Reichstags v. Schlieckmann, Krämer
und Freiherr v. Mirbach.
Als Beauftragte des Bundesrats find von dem Herrn Reichskanzler für den
ersten Gegenstand der Tagesordnung angemeldet:
Der Kaiser!. Geheime Mberregierungsrat Herr Schultz, der Kgl. Geheime
Kriegsrat Herr Koch, der Kgl. Major Herr Sachse, der Kgl. Militärintendantur-
rat Herr Köde und der Kgl. Hauptmann Herr Gaede.
wir treten in die Tagesordnung ein.
Erster Gegenstand derselben ist die erste Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes, betreffend die Aufnahme einer Anleihe
für Zwecke der Verwaltung des Reichsheeres (Nr. 92 der
Drucksachen).
Ich eröffne die Beratung. Der Herr Reichskanzler hat das Wort.
Reichskanzler Fürst von Bismarck: wenn ich heute das Wort ergreife,
so ist es nicht, um die Vorlage, die der Herr Präsident eben erwähnte, Ihrer
Annahme zu empfehlen; ich bin nicht in Sorge darüber, daß sie angenommen
werden wird. Die Herren werden in allen Fraktionen darüber ihren Sinn fest-
gestellt haben, wie sie stimmen werden, und ich habe das volle vertrauen zum
deutschen Reichstag, daß er diese Steigerung der Wehrkraft geben wird in
voraussichtsvoller Beurteilung der Gesamtlage Europas. Ich werde deshalb,
wenn ich das Wort ergreife, mehr über die letztere zu reden haben als über die
Vorlage.
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Schultz Koch Gaede Bismarck
356
Außerdem ist aber noch ein Vorteil der Annahme dieses Gesetzes: gerade
die Stärke, die wir erstreben, stimmt uns selbst notwendig friedfertig. Mit dsr
gewaltigen Maschine, zu der wir das deutsche Heerwesen ausbilden, unternimmt
man keinen Angriff.
Ich bin nicht für irgendwelchen Angriffskrieg, und wenn der Krieg nur
durch unfern Angriff entstehen könnte — Feuer muß von jemand angelegt
werden — wir werden es nicht anlegen.
Also — wenn ich mich resümieren soll — ich glaube nicht an eine un-
mittelbar bevorstehende Friedensstörung und bitte, daß Sie das vorliegende
Gesetz unabhängig von diesem Gedanken und dieser Befürchtung behandeln,
lediglich als eine volle Herstellung der Verwendbarkeit der gewaltigen Kraft,
die Gott in die deutsche Nation gelegt hat für den Fall, daß wir sie brauchen;
brauchen wir sie nicht, dann werden wir sie nicht rufen; wir suchen den Fall
zu vermeiden, daß wir sie rufen.
Dieses Bestreben wird uns noch immer einigermaßen erschwert durch
drohende Zeitungsartikel vom Auslande. Man sollte das unterlassen, dann
würde man es uns leichter machen, unsern beiden Nachbarn auch gefälliger
entgegenzukommen. wir können durch Liebe und Wohlwollen leicht bestochen
werden — vielleicht zu leicht —, aber durch Drohungen ganz gewiß nicht!
(Bravo I) wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in
der Welt (lebhaftes Bravo); und die Gottesfurcht ist es schon, die uns der,
Frieden lieben und pflegen läßt.
wer ihn aber trotzdem bricht, der wird sich überzeugen, daß die kampfes-
freudige Vaterlandsliebe, welche *8*3 die gesamte Bevölkerung des damals
schwachen, kleinen und ausgesogenen Preußen unter die Fahnen rief, heutzutage
ein Gemeingut der ganzen deutschen Nation ist, und daß derjenige, welcher die
deutsche Nation irgendwie angreift, sie einheitlich gewaffnet finden wird und
jeden Wehrmann mit dem festen Glauben im Kerzen: Gott wird mit uns sein!
(Lebhafter, andauernder Beifall.)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von und zu
Frankenstein.
Abgeordneter Freiherr von und zu Franken st ein: Im eignen Namen
und im Namen meiner politischen Freunde stelle ich den Antrag, das eben zur
Beratung stehende Anleihegesetz an die Budgetkonnnisfion zur Vorberatung zu
verweisen, um daselbst die nötigen und möglichen Aufschlüsse zu erhalten.
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Helldorf.
Abg. von Helldorf: Meine Herren, ich würde es für unrecht halten,
dem Gehörten ein anderes Wort hinzuzufügen als das des Ausdruckes der vollen
Übereinstimmung mit den Vorschlägen, die der Herr Vorredner gemacht hat,
und den Ausdruck des Vertrauens, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen von
unserer Staatsleitung rechtzeitig uns empfohlen werden. . . . (Bravo I)
Präsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vr. von Bennigsen.
Abg. I)r. von Bennigsen: Ls sind gewiß nicht lange Reden, welcke
man in diesem Augenblicke von den Vertretern der deutschen Nation im Reiche
tag erwartet. Das aber kann unser Volk verlangen, daß wir in einträchtigem
Zusammenwirken mit den verbündeten Regierungen und in voller Unterstützung
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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358
Präsident: Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Berichterstatter.
Berichter st atter Freiherr von Maltzahn-Gültz: Das von
den beiden Herren Rednern aus dem Hause vorgeschlagene Verfahren würde in
voller Übereinstimmung mit dem Verhalten der Kommission stehen, welche fast
sämtliche Beschlüffe zu diesem Gesetze einstimmig gefaßt hat. (Bravo!)
Präsident: Meine Herren, Sie haben den Antrag gehört, den der Herr
Abgeordnete Freiherr von und zu Frankenstein gestellt und den der Herr Ab-
geordnete Or. von Bennigsen unterstützt hat, dahingehend, den vorliegenden
Gesetzentwurf nach Maßgabe der Kommissionsbeschlüsse in zweiter Beratung
en bloc anzunehmen. Es kann diesem Antrag nur Folge gegeben werden,
wenn von keiner Seite demselben widersprochen wird. Ich frage, ob Widerspruch
erhoben wird. (Pause.)
Das geschieht nicht. Ich stelle daher hiermit fest, daß der vorliegende Ge-
setzentwurf nach den Kommissionsbeschlüssen die Annahme des Reichstags gefunden
hat. (Lebhafter Beifall.) — Meine Herren, damit ist die Tagesordnung erledigt.
Ich schlage Ihnen vor, die nächste Sitzung morgen \ Uhr abzuhalten mit
folgender Tagesordnung:
t. Mündliche Berichte der Kommission für die Geschäftsordnung über die
Fortdauer der Mandate der Abgeordneten Saro, Br. von Heydebrand, Lasa
und Weyrauch (Nr. 63, 98 der Drucksachen).
2. Zweite Beratung des von den Abgeordneten Graf von Behr, Br. von
Bennigsen und von Helldorf eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend Änderung
des Artikels 24 der Reichsverfassung (Nr. 29 der Drucksachen).
z. Berichte der Wahlprüfungskommission über die Wahl der Abgeordneten
von Dertzen (Parchim), Llauß, von Funcke, Panse, Richter und Henneberg.
Gegen diese Tagesordnung wird Widerspruch nicht erhoben; sie ist an-
genommen. Ich schließe die Sitzung.
(Schluß der Sitzung 3 Uhr s5 Minuten.) Nach dem stenographischen Berichte.
Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiser-
krone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen
Reichs zu fein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern
an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete
nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung. Wilhelm l.
152. Von Freiheit und Vaterland.
Es sind elende und kalte Klügler aufgestanden in diesen
Tagen, die sprechen in der Nichtigkeit ihrer Herzen:
,Vaterland und Freiheit, leere Namen ohne Sinn, schöne
Klänge, womit man die Einfältigen betört! Wo es dem Menschen
wohlgeht, da ist sein Vaterland; wo er am wenigsten geplagt
wird, da blüht seine Freiheit.“
Diese sind wie die dummen Tiere nur auf den Bauch und
seine Gelüste gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen
des himmlischen Geistes.
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Extrahierte Personennamen: Maltzahn-Gültz Weyrauch Funcke Henneberg Wilhelm
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Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen,
In Unsern darauf gerichteten Bestrebungen find Wir der Zustimmung aller
verbündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf die Unterstützung des
Reichstags ohne Unterschied der Parteistellungen. In diesem Sinne wird
zunächst der Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung der Arbeiter
gegen Betriebsunfälle mit Rücksicht auf die im Reichstage statt-
gehabten Verhandlungen über denselben einer Umarbeitung unterzogen,
um die erneute Beratung desselben vorzubereiten. Ergänzend wird ihm
eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Organisation
des gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber
auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig
werden, haben der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf
ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zuteil werden
können. Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist
eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemein-
wesens, welches auf der sittlichen Grundlage des christlichen Volkslebens
steht . . ."
Mit diesen herrlichen Worten gab Kaiser Wilhelm 1. das Ziel und
me Richtlinien für unsere heutige Arbeiterversicherung an.
Der Reichstag beschäftigte sich zunächst mit der Fertigstellung und
Durchberatung des Krankenkassengesetzes, während die in Ver-
bindung mit diesem eingebrachte Vorlage eines Unfallversicherungsge-
setzes zurückgestellt wurde. In der Sitzung vom 31. Mai 1883 wurde
das Krankenversicherungsgesetz mit 216 gegen 99 Stimmen angenommen.
Es war also eine ansehnliche Mehrheit, die das Gesetz schließlich auf
sich vereinigte. Vollzogen wurde das Gesetz am 15. Juni 1883. Mit
dem 1. Dezember 1884 trat es in Kraft.
Aber schon vorher hatte Kaiser Wilhelm I. in einer weiteren Botschaft
vom 14. April 1883 dem Reichstage aufs neue die Dringlichkeit deß
gesetzlichen Schutzes der Arbeiter gegen Betriebsunfälle
ans Herz gelegt. Nur einige Sätze wollen wir aus dieser Botschaft
hervorheben. Der Kaiser sagte: „Mit Sorge erfüllt es Uns, daß die
wichtige Vorlage für die Unfallversicherung bisher nicht weiter gefördert
worden ist. ... Unsere kaiserlichen Pflichten gebieten Uns aber, kein in
Unserer Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die Besierung der Lage
der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen untereinander zu fördern,
solange Gott Uns Frist gibt zu wirken. Darum wollen Wir dem Reichs-
tage durch diese Unsere Botschaft von neuem und in vertrauensvoller An-
rufung feines bewährten treuen Sinnes für Kaiser und Reich die baldige
Erledigung der hierin bezeichneten wichtigen Vorlagen dringend ans Herz
legen."
Der neue Entwurf des Unfallversicherungsgesetzes wurde
an eine Kommission verwiesen, welche ihn durchberiet und mit ge-
ringen Änderungen an das Haus zurückbrachte. Mit einer überwältigen-
den Mehrheit wurde das Gesetz angenommen und am 6. Juli 1884
vollzogen. Am 1. Oktober 1885 konnte es in Kraft treten. In rascher
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelm_I. Wilhelm_I.